Gedanken zum Film „Human Nature“

Regie: Adam Bolt (Dokumentarfilm), USA 2019, läuft seit November 2019 in deutschen Kinos

 

Spätestens am 26.11.2018, als von He Jiankui in China die Geburt der ersten gentechnisch veränderten Zwillinge bekanntgegeben wurde, sind auch viele, die sich nicht sonderlich für Gentechnik interessieren, mit der Buchstabenfolge CRISPR konfrontiert worden. Diese Abkürzung steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Das kann man als Laie ruhig gleich wieder vergessen, aber CRISPR sollte man sich merken. Die so bezeichnete Technik könnte die Zukunft von allen Lebewesen auf diesem Planeten nachhaltig verändern, einschließlich der des Menschen. CRISPR ist eine Genschere, mit der man einzelne Gene aus dem DNA-Strang herausschneiden und durch andere ersetzen kann. Diese revolutionäre Entwicklung, die sich ähnlich wie die digitale Revolution in ihren Anfängen, von der Öffentlichkeit weitgehend unterschätzt, rasant vollzieht, eröffnet medizinische Möglichkeiten, aber auch existenzielle Gefahren.

Ich habe schon frühzeitig die Entwicklung in der Gentechnologie mit großem Interesse verfolgt und so war ich sehr gespannt auf den Film „Human Nature“, den das Abaton-Kino in Hamburg im Dezember gezeigt hat. In diesem amerikanischen Dokumentarfilm stehen zwar die Forschungen in den USA im Fokus und die unterlegte Filmmusik war mir deutlich zu bombastisch, aber er erklärte im ersten Teil auf unterhaltsame und leicht verständliche Weise die CRISPR-Technik, um sich danach den komplexen gesellschaftlichen und ethischen Fragen zu widmen. Diese werden ausgelotet durch Interviews mit den „Müttern“ der CRISPR-Methode, Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna, und vielen anderen Forschern, die sehr unterschiedliche Haltungen zum Eingriff in die Keimbahn des Menschen äußern, mit Menschen, die an erblichen Krankheiten leiden und sich Heilung erhoffen, einer Ethikerin, Leuten aus diversen Start-ups, die ein großes Geschäft wittern usw. Durch die Vielfalt der Stimmen und der Aspekte, die dadurch zur Sprache kommen, ist der Film sehr gut geeignet, eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik anzuregen.

Eine anschließende Diskussion mit Dr. Boris Fehse (Leiter der Forschungsabteilung für Zell- und Gentherapie des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf) und  Dr. Ingrid Schneider (Expertin der Technikfolgenabschätzung des Center for Bio-Governance der Universität Hamburg) vertiefte die Thematik. Die Wissenschaftler ergänzten den Film um europäische Sichtweisen, berichteten von den Herausforderungen in der Praxis, wo nicht alles so glatt läuft wie in der Theorie, von den unvorhergesehenen Neben- und Wechselwirkungen, die durch das nur scheinbar einfache „Dann schneiden wir das schadhafte Gen eben einfach raus“ entstehen können. Oft erweist sich z. B. im Nachhinein, dass das schädliche Gen durch die Evolution nicht zufällig überlebt hat, sondern dass es an anderer Stelle schützende Eigenschaften hat. Ein Beispiel hierfür ist das Gen, das für die Sichelzellenanämie verantwortlich ist. Nicht zufällig ist es vor allem in Malariagebieten verbreitet, denn es schützt seine TrägerIn vor der Ansteckung.

Den Film „Human Nature“ kann ich allen empfehlen, die sich mit der CRISPR-Technik auseinandersetzten wollen! Sie wird das Leben der nachfolgenden Generationen verändern. Wie und in welchen Grenzen, das muss dringend auch in der Gesellschaft diskutiert werden, denn eine scheinbar sichere Grenze wird schon kräftig durchlöchert. „In die Keimbahn des Menschen eingreifen – niemals!“ hieß es auch in Forscherkreisen unisono, solange es nicht möglich war. Nach CRISPR verschiebt sich die Grenze in atemberaubendem Tempo hin zu den Fragen: „In welchen Fällen wollen wir in die Keimbahn eingreifen? Wer darf darüber entscheiden?“ Und hat der Wettlauf um Standortvorteile durch CRISPR zwischen den Nationen, der alle Grenzen aufzuweichen droht, nicht schon begonnen? Selbst bei uns gibt es erste gewichtige Stimmen, z. B. aus der Leopoldina, die nicht mehr vom Verbot des Eingriffs in die Keimbahn sprechen, sondern von „verantwortlicher Gestaltung“. Wenn diese Tür geöffnet ist, wird die Entwicklung hin zum (vermeintlich) optimierten Menschen noch zu stoppen sein?

Nicht zu vernachlässigen ist in dem ganzen Prozess auch der Ehrgeiz einzelner Forscher. Er schafft vollendete Tatsachen, wie die CRISPR-Zwillinge Lulu und Nana gezeigt haben. In Russland ist ein weiterer Menschenversuch schon angekündigt. Mit CRISPR zeichnet sich am Horizont eine Gesellschaft von gentechnisch gestalteten Menschen ab, wie ich sie mir in meinem dystopischen Roman „Unter Markenmenschen“, Fischer-Verlag 2002, ausgemalt habe. Wieder bewahrheitet sich Norman Mailers Bonmot „Was man heute als Science-Fiction beginnt, wird man morgen als Reportage zu Ende schreiben müssen.“

 

Autorin: Birgit Rabisch

 

Eine Neuausgabe von Rabischs dystopischem Roman „Unter Markenmenschen“ erscheint im Frühling 2020 im Verlag duotincta.

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