Autor: Moritz Hildt
Wenn es einer weiß, dann Bruce Springsteen. You can’t start a fire without a spark – ohne einen Funken kannst du kein Feuer entfachen, singt der Boss mir feurig in die Ohren, während der Bus im Dämmerlicht die Rostocker Großeinkaufszentren hinter sich lässt und „pfeilgrad“, wie man bei uns im Süden sagt, auf die vollkommene Dunkelheit zuhält. Wenige können die Tautologien des Lebens – und es ist kein Geheimnis, dass die wirklich entscheidenden Wahrheiten nie anders als tautologisch sind – mit solcher Leichtigkeit auf den Punkt bringen wie der gute Bruce, in seiner nüchternen Poesie des Alltags, der von harter Arbeit und kühnen Träumen. Es ist nicht mehr weit bis zum Meer. Nicht mehr weit bis Kühlungsborn.
Dort, in der Alten Büdnerei, feiert „mein“ Verlag duotincta an diesem Wochenende sein fünfjähriges Bestehen. Drei Tage voller Literatur, die uns auf Lesungen bis nach Wien und Dubrovnik mitnehmen werden, nach Sizilien und Samos, bis in die Schwüle von New Orleans und dann wieder zurück nach Norddeutschland und an die Ostsee. Drei Tage voller guter Gespräche, warmherzigem Austausch und schlaraffenhaftem Kuchen, der zum Niederknien (oder: Reinlegen?) ist. Kristin Schröter, die Inhaberin der Alten Büdnerei, wird immer wieder auftauchen, zwischen Küche, Gastraum und dem Gespräch mit Gästen, mit stets wachen Augen, aufmerksamem Blick und einer Begeisterung, die derart ansteckend ist, dass man gar nicht mehr weg möchte von jenem liebenswerten, einzigartigen Ort am Rand von Kühlungsborn, der an diesem Wochenende erfüllt ist von einem vielstimmigen literarischen Funkeln.
Es sind – wie immer – Fragmente, die bleiben. Am Gatter der Weide unweit der Alten Büdnerei die Warnung vor dem lebensgefährlichen Stier, der aber, Godot gleich und damit vollauf passend, nicht zu sehen ist, es schon im letzten Sommer nicht war und auch an diesem Wochenende nicht mehr auftauchen wird. Ein Gespräch darüber, was das verbindende Element ist, thematisch oder literarisch, das alle bei duotincta erschienenen Romane eint, und die überzeugende Antwort, die Lutz Flörke und Vera Rosenbusch darauf gefunden haben. Die von der Nachtfahrt müde Miri Watson, der jüngste Neuzugang an Bord der duotincta, die dann aber, wieder ist es dämmrig, mit vollem Elan ihr Lesedebüt gibt. Mit Wolfgang Eicher am Meer, das fischig riecht und ganz glatt ist und dennoch ebenso wenig etwas von seinem Mysterium einbüßt als dass es preisgibt. Die wie in einer Tanzbewegung verharrten Weiden auf dem Weg zum Strand und das Raten mit Eliza Encheva, welche Musik es wohl gewesen sein mochte, zu der die Bäume sich vor ihrer Erstarrung bewegten. Birgit Rabisch, deren Souveränität ihresgleichen sucht und die zu ihrer Lesung mehr Publikum in die Alte Büdnerei zieht als alle anderen. Der sturzbachartige Regen, der die abendliche Seebrücke zunächst leerfegt und sie dann für uns, die wir weit und breit als einzige auf den Planken unterwegs sind, glitzern lässt. Ein Austausch über Vorlesetechniken mit Michael Kanofsky und über den eigenen Sound, den die Bücher haben, wenn sie einmal fertig sind. Am Tisch mit David und Claudia Misch und einer anregenden Unterhaltung über James Joyce und das Weinviertel, die Literatur und deren Orte, fiktiv und wirklich. Und natürlich unser Verleger, Jürgen Volk, der stets präsent ist und sich immer wieder Einzelne zu persönlichen Gesprächen krallt und dem es so gelingt, jedem von uns und zugleich uns allen das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu sein.
duotincta, das wird an diesem Wochenende klar, ist ein Feuer, das Ansgar Köb und Jürgen Volk vor fünf Jahren entfacht haben. Ein Feuer, das brennt, trotz Wind und Wetter, und das geschürt wird von der unablässigen Begeisterung, der nimmermüden Einsatzbereitschaft und der Beharrlichkeit derer, die für das, was sie tun, brennen.
Aber auch das wusste natürlich schon der Boss: You can’t start a fire worrying about your little world falling apart, so geht der Song weiter – du kannst kein Feuer entfachen, wenn du dich darum sorgst, es könnte deine kleine Welt durcheinanderbringen. Das Jubiläumsfest der duotincta ist auch das: eine Feier eben dieses Weltdurcheinanderbringens.
Und worin sonst, könnte man fragen, besteht 100 Prozent Literatur?