„Ich höre was, was du nicht siehst.“ Ein Nachruf auf Kristin Schröter von Moritz Hildt

 

Kristin Schröter betreibt ein Café am Rande Kühlungsborns.“ So schlicht und nüchtern lautet der Autorinneneintrag am Ende des Büchleins Seewind einer kleinen Sammlung von Texten rund um den Urlaub am Meer. Hinter diesen unscheinbar daherkommenden Worten verbirgt sich nicht weniger als eine ganze Welt.

Jeder, der das Glück hatte, schon einmal in der Alten Büdnerei gewesen zu sein – sei es als Cafégast, als Kulturinteressierter, als Urlauber oder als Künstler – weiß um diese Welt, um die Einzigartigkeit jenes Ortes am Rande von Kühlungsborn. Kristin Schröter hat das Hofcafé nicht nur aufgebaut, sondern auch ständig daran weitergefeilt, an der Kuchen- und Speisekarte ebenso wie an den Räumlichkeiten und Ferienwohnungen. Und auch das Kulturprogramm der Alten Büdnerei war etwas, das sie kontinuierlich weiterentwickelte. Es umfasste Lesungen, Schreibwerkstätten und Mal-Workshops bis hin zu den „Literaturtagen in der Alten Büdnerei“, die 2022 zum ersten Mal stattfanden.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich Kristin zum ersten Mal begegnet bin. Das war am Abend des 21. Juni 2019, ich war als frischgebackener duotincta-Autor mit meinem Debütroman zu einer Lesung angereist. Hundemüde von der langen Bahnfahrt wollte ich eigentlich nur noch aufs Zimmer. Aber mit der ihr eigenen Tatkraft drückte mir Kristin den Lenker eines alten Fahrrads in die Hand und wies mir den Weg zum Meer. Ein Funke ihrer Energie muss in jenem Moment auf mich übergesprungen sein, denn ich setzte mich aufs Rad und fuhr dem sommermilden Seewind entgegen, der sich herrlich anfühlte auf meinem reiseträgen Gesicht und dessen Geruch an jenem Abend ich nie vergessen werde.

Aus dieser ersten Begegnung erwuchs eine ganz besondere Art von Arbeitsfreundschaft, die mich seitdem viele Male in die Alte Büdnerei gebracht hat. Wir waren sogar störrisch genug, selbst in den Jahren der Pandemie gemeinsam jene kleinen Zeitfenster ausfindig zu machen, in denen wir nichtsdestotrotz eine Schreibwerkstatt durchführen konnten, so dass wir damit kein einziges Jahr pausieren mussten.

In der kleinen Anthologie, die wir gemeinsam zum Jahreswechsel herausgebracht haben, findet sich auch eine Geschichte aus Kristins Feder. Eine Mutter und ihre Tochter machen darin die Erfahrung, dass ein Urlaub an der Ostsee auch mal ins Wasser fallen kann. Aber die beiden resignieren nicht, ganz im Gegenteil: Sie erfinden ein neues Spiel, erleben einen Nachmittag großer Nähe und lachen gemeinsam laut, als sie trotz des schlechten Wetters schließlich barfuß durchs Wasser laufen. In der Haltung, die die Tochter und ihre Mutter dabei an den Tag legen, steckt viel von dem, was Kristin Schröter zu einer so außergewöhnlichen Person gemacht hat: jene zupackende Zuversicht und geradezu ansteckende Begeisterung für die Dinge, die ihr wichtig waren, gepaart mit der entschlossenen Beharrlichkeit, jeglichen Widrigkeiten zu trotzen. Und sie hat für sich ein Glück in Anspruch nehmen können, das nur wenigen von uns zuteilwird: sich im Leben ganz dem widmen zu können, wofür man brennt.

Jemand hat mal gesagt, dass Wege dadurch entstehen, dass man sie geht. Für mich verkörpert kaum einer diesen Satz so sehr wie Kristin Schröter. In der letzten Woche ist sie verstorben, mit einer gnadenlosen Plötzlichkeit. Ihre Entschlossenheit, sich nicht unterkriegen zu lassen, ist mir in bewundernswerter Erinnerung, und wird es bleiben. Und ich für meinen Teil werde nicht aufhören, ihr Spiel zu spielen – Ich höre was, was du nicht siehst.