#Bosbachleavingthings oder Germany leaving common sense

Autor: Jürgen Volk

Der letzte Blogbeitrag vor der Sommerpause sollte sich den schönen Dingen des vergangenen Halbjahres widmen, einen Ausblick auf das geben, was ab September bei der duotincta so alles passieren wird – und dann kam G20. Seit dem Gipfel in Hamburg wissen wir, im September ist auch Bundestagswahl. Was wir gerade erleben steht m.E. in diesem Zusammenhang und dabei stieß ich auf ein Phänomen, das Thema dieses Beitrags sein soll, nicht eine Bewertung des Gipfels, der Krawalle, des Polizeieinsatzes. Würde ich damit anfangen, würde kein Blogbeitrag, sondern ein Buch daraus werden … Auch wenn das nun ein wenig übertrieben erscheint, so muss doch in einem Maße differenziert werden, das dazu führen würde, dass ich gar nicht sagen könnte, was ich eigentlich sagen will. Wer einen differenzierten Beitrag sucht – und das ist dieser Tage eine Herkulesaufgabe – der wird bei Sandro Abbate fündig. Von meiner Seite deshalb in aller Kürze vorab: Ich halte es mit Jan van Aken und was er bei Maischberger am 12. Juli in der Sendung gesagt hat:

„Es muss doch möglich sein, sowohl die Krawallos von Freitagnacht zu kritisieren, als auch den Senat oder die Polizeiführung zu kritisieren. Es muss doch nicht immer Entweder-Oder sein.“

Ich möchte etwas anderes kritisieren, und das ist der Grund, weshalb dieser Beitrag auf einem Verlagsblog erscheint. Denn auch wenn wir ein kleiner Akteur sind, so ist es trotzdem das kulturelle Feld, auf dem wir uns bewegen, in dem wir leben und in dem wir uns auch positionieren müssen. Und aus meiner Sicht waren und sind die Brände, die dort entfacht wurden ebenso eine Gefahr, wie die Brände auf der Schanze es waren.

Das erste Mal wurde in diesem G20-Gemenge richtig stutzig, als ich die Tyrannenmord-Aktion des Zentrums für Politische Schönheit gesehen hatte. Ich finde vieles gut, was vom ZPS ausgeht, aber mit dieser Aktion konnte ich nichts anfangen. Dennoch wurde ich durch diese Seltsamkeit an ein Phänomen erinnert, das mir im Laufe der vergangenen Tage immer wieder begegnet ist. Und ich wurde an meine Studienzeit erinnert. Aber darauf komme ich später zurück.

Im Laufe des G20-Gipfels und der Folgetage sind uns viele neue Dinge begegnet, vor allem auf Twitter. Da gab es neben wunderbaren Hashtags wie #G20Filme oder #BosbachleavingThings auch neues und befremdliches wie #riothipster oder #rockgegenlinks … Ja, Rock gegen Links. Ich wiederhole jetzt nicht die Häme, die sich über diese Debatte (die Heiko Maas so ja gar nicht wollte) ergossen hat, von wegen, dass diese Konzerte schon seit Jahren in manchen östlichen Teilen der Republik fester Bestandteil des Sommers seien, sondern mich interessiert etwas anderes dahinter.

„Rock gegen Gewalt“ oder was auch immer wäre ja noch in Ordnung gewesen. Jetzt ist wahrlich nicht jede Rockband links, dennoch transportierte und transportiert Rockmusik in ihrer weitesten Definition politische Weltbilder, die – auch im weitesten Sinne – als Links bezeichnet werden könnten. Und genau darauf wollte die Bild-Journalistin im Interview mit Heiko Maas wohl hinaus, denn für mich klingt Rock gegen Links aus meiner je eigenen Sozialisation heraus als Widerspruch in sich. Ich weiß, ein Störkraft-Hörer würde dies wohl anders sehen … Worauf ich wiederum, im Gegensatz zur Bild-Journalistin, hinaus will ist, dass mir dieser Widerspruch immer und immer wieder begegnet. Auf den Punkt gebracht hat dies Michael Pilz in seinem Artikel über Beate Zschäpe hört U2 (Antilopen Gang). Er schreibt dort:

„So [Beate Zschäpe hört U2“] heißt eines der klügsten deutschen Hip-Hop-Stücke dieses Herbstes. Es handelt von vielem. Vom Verlust der Codes im Zeitalter der formatierten Popkultur, in der Musik nichts mehr über den Hörer aussagt und die Mode nichts mehr über ihren Träger.“

Man könnte auch von der Auflösung oder bewussten Ignoranz kultureller oder intellektueller Referenzsysteme sprechen. Ich meine damit Politiker der Christlich Sozialen Union, die „Highway to Hell“ als Lieblingslied instrumentalisieren, um sich einen anderen, populäreren Anstrich zu verpassen. Ich meine damit die CDU als Ganzes, die sich mit „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen feiert. Handelt es sich hierbei noch um eine „Öffnung“ dieser Parteien oder wird hier etwas vermengt, das nicht vermengt werden sollte? Ich bleibe bewusst im ästhetischen Bereich und in der Popmusik, aber überträgt man diese – ich nenne es einmal Inkonsistenz – auf die Politik, auf Debatten auf die Epistemologie im Allgemeinen, was wäre wohl das Resultat? Es gibt verschiedene Arten der Argumentation, Affektrhetorik alleine kann jedoch nicht bestehen. Wie sieht es aber aus, wenn Vernunft und Logik, also der logos an sich, nicht mehr die Debatte leiten? Wie argumentieren wir in Zeiten einer Logik der Restkonsistenz (der 140 Zeichen)? Ist mit der Auflösung einer konsistenten Argumentation überhaupt noch so etwas wie ein Konsens möglich? – Nein ich möchte jetzt nicht mit einem platten „Lest Bücher statt Tweets“ kommen. Dafür komme ich, wie eingangs erwähnt, auf meine Studienzeit zurück. Die Frage nach dem Tyrannenmord war eine der vielen Übungen in der Antike, um die Argumentationskunst, was gleichzeitig auch das Denken bedeutet, zu schulen. Von Aristoteles bis Cicero wird die Wichtigkeit dieser exercitatio betont, die dazu führt, wie beim Beispiel mit dem Tyrannenmord, das Für und Wider für sich – in der Theorie und abstrakt – zu erwägen, um dann in der Situation, auf die jeweilige Situation bezogen, angemessen reagieren zu können. Grundvoraussetzung in der Politik war hierbei der sensus communis, der nicht mit dem Konsens als Ziel verwechselt werden sollte, sondern der Gemeinsinn, der alle verbindet. Für die römische Republik war dies, verkürzt gesagt, römischer Bürger in eben jener römischen Republik zu sein und deren bestes – wie immer dies aussehen möchte – zu erreichen. Der senus communis war die Grundlage, auf der die Debatte um die Fragen der Republik kontrovers werden konnte.

Heute ist die Politische Korrektheit, als Einigung darüber, dass Einzelne oder ganze Gruppen nicht stigmatisiert, beleidigt oder diffamiert werden dürfen, wohl Grundlage der Diskussion geworden. Michael Pilz (ohne seine Haltung zur Politischen Korrektheit selbst diskutieren zu wollen) schreibt im Antilopen-Gang-Artikel zur Politischen Korrektheit, dass als Folge des Politisch Korrekten das Antikorrekte (andere behaupten ein umgekehrtes Verhältnis) aufgekommen ist. Aber mit diesem Gegensatz lässt sich aus meiner Sicht erklären, was täglich in den Sozialen Netzwerken und den Medien, zuletzt bei Maischberger gesehen, geschieht:

Herr Bosbach, nachdem er in verschiedenen Kontexten immer wieder von Kapitulation gesprochen hat, kapituliert selbst und verlässt die Debatte. Das äußerste Mittel überhaupt, etwas das ein Politiker normalerweise nicht tun würde. Aber war der Anlass gerechtfertigt? Wie hätte wohl Cicero reagiert? War die Bosbach-Reaktion angemessen? Aus meiner Sicht nicht. Es ging heiß her und es ist egal, wie man bewertet, was Frau Ditfurth gesagt oder nicht gesagt hat, es war für mich, wie gesagt, kein Anlass, der ein Verlassen der Debatte rechtfertigt. Herr Bosbach versuchte Frau Ditfurth damit als die Antikorrekte hinzustellen, mit der nicht zu sprechen sei, stellte sie quasi auf eine Ebene mit den Krawallmachern oder auch, um beim Artikel zu bleiben, mit Elsässer oder KenFM. Herr Bosbach muss sich weiter gefallen lassen, dass er in der gesamten Debatte kein einziges Mal, so wie Jan van Aken, eine Form der beidseitigen Kritik gegen Krawall und Polizeiführung fand. Von Polizeigewalt und Repressionen gegen Journalisten wollen wir jetzt einmal gar nicht sprechen. Es war kein Zeichen, das Herr Bosbach da im Sinne einer bürgerlichen Haltung gesetzt hat. Es ist ein Fanal, wenn ein Bundespolitiker öffentlich die Debatte scheut und kapituliert, aus einem vorgeschobenen Beleidigtsein heraus oder weil ihm das Gehörte, die Gesinnung oder das Verhalten einzelner in der Runde nicht zusagt. Vollständig kapituliert hat Herr Bosbach vor dem sensus communis m.E. allerdings in dem Moment schon, als er Frau Ditfurth abfällig als „Oberintelektuelle“ bezeichnet hat. Sind das die neuen Töne? Dann lasst uns ganz schnell ganz andere anstimmen … Soll mit dieser Haltung Intellektuellen, auch Wissenschaftlern oder Künstlern und Kulturschaffenden begegnet werden? Scheinbar ist die Bezeichnung „Intellektueller“ bei Herrn Bosbach das Etikett, das man unliebsamen politischen Gegnern anhaftet. Daraus ergeben sich weitere Fragen:  Ist diese Haltung in Politikerkreisen weiter verbreitet? Oder ist dies eben „nur“ die Haltung eines einzelnen Bundespolitikers? Oder sahen wir eine Vorschau auf die Rhetorik des kommenden Wahlkampfes? Dann bleibt zu wünschen, dass sich unsere Politiker vor Wahlkampfauftakt einer Fragestellung Martin Luther Kings widmen, der man sich auch vor, im Zuge und nach dem G20-Gipfel – und auch bei Maischberger hätte widmen sollen: Der Frage nach dem Zweck und den Mitteln. Martin Luther King hat die Frage für sich klar beantwortet:

„Wir werden niemals Frieden in der Welt haben, bevor die Menschen überall anerkennen, dass man gute Zwecke nicht durch böse Mittel erreichen kann.“

Vielleicht sollte aber auch der Sommerurlaub komplett gestrichen werden und die exercitatio, samt Logik auf die Tagesordnung gesetzt werden:

i) Einige WENIGE sind gegen diese Gesellschaft, diesen Staat, dieses Wirtschaftssystem, diese Form der Demokratie, die sie als repressiv bezeichnen und stürzen möchten, wobei sie Gesetzesbrüche als angemessenes Mittel ansehen. Oder sie suchen einfach nur den Gewaltexzess. Oder beides.

ii) Jetzt wird aus manchem politischen Lager und in den Sozialen Netzwerken gefordert, die Freiheit ALLER einzuschränken.

iii) Meine Frage: Wer hat dann gewonnen?

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