Autorin: Stefanie Schleemilch
Nein, das ist keine Frauenliteratur!
War meine vehemente Antwort auf die etwas dämliche Frage, die mir vor der Veröffentlichung meines ersten Romans Letzte Runde gestellt wurde. Ich dachte bei dem Begriff Frauenliteratur umgehend an romantische Happy Ends, erotisierte Kurzgeschichten oder verdeckt agierende Lebensratgeber. Die Hauptfigur in Letzte Runde hingegen ist ein todkranker Mann, dessen wenig ruhmreiches Leben am Ende ist. Kein Happy End, keine Erotik und schon gar keine Lebenshilfe. Neun Monate habe ich an der Geschichte geschrieben, ein Jahr später liegt die Druckausgabe nun vor mir. Und noch immer habe ich eine wenig subtile Meinung dazu: Ich bin eine Frau, ich will vieles, aber keine Frauenromane schreiben.
Denn, seien wir doch mal ehrlich, der Titel Frauenliteratur ist ein Stigma, beschreibt Unzulängliches, etwas, das sich bei den Männern (und das sind immerhin noch 50 % der Weltbevölkerung) nicht durchsetzten konnte.
Aber wie definiert sich dieses (Sub-) Genre fernab meiner maliziösen Haltung? Denn sieht man von allzu seichter Literatur ab, dann bleibt ein bemerkenswerter Kanon an Frauenliteratur übrig.
Ist jeder Roman, der von einer Frau verfasst wird, Frauenliteratur (also auch meiner)? Liegt die Definition in der Thematik, und ist somit jeder, der über Frauen schreibt ein Frauenliterat (und ich im Gegensatz zu Fontane nicht)? Oder ist der Begriff für Romane mit einer gewissen Zielgruppe reserviert (ergo Literatur für Frauen)?
Oft werden diese drei möglichen Ansätze in einen Topf geworfen. Wer sich Frauen zur Zielgruppe macht, schreibt demnach auch über Frauen und ist mit großer Wahrscheinlichkeit selbst eine Frau (Fontane als große Ausnahme ausgenommen, versteht sich). Diese Logik funktioniert selbstredend auch in die andere Richtung: Frauen schreiben für Frauen über Frauenthemen. Männer über die ganze Welt.
Galt der Begriff in vergangenen Zeiten als Bezeichnung für Schundromane und Arztheftchen, hat sich mittlerweile ein beachtlicher/erstaunlicher Forschungszweig herausgebildet, der sich einen ernsthaften Vorteil von der Dualität „Literatur-Frauenliteratur“ verspricht.
Eine Aufgabe der Forschung ist der Erhalt literarischer Texte von Frauen, die zu Zeiten entstanden, da Frauen kaum Zugang zum eindeutig männlich dominierten Literaturbetrieb fanden. Wird hier also künstlich konserviert, was auf dem „ersten Markt“ keine Chance hat(te), oder leisten derartige Organisationen eine unerlässliche Arbeit für strukturell und gesellschaftlich benachteiligte Schriftstellerinnen? Und wie modern ist dieses Unterfangen?
Denkt man sich in eine Zeit zurück, in dem es kein Wahlrecht für Frauen gab, der Zugang zu Bildung erschwert und die Rollenverteilung eindeutig war, muss man der Forschung Recht geben. Aber heute erinnert mich die Frage an die mühsame Diskussion rund um die Frauenquote in (wirtschaftlichen) Betrieben. Mühsam, denn auch die 1919 geborene Doris Lessing kämpfte bis zuletzt gegen den Begriff der Frauenliteratur, war fest davon überzeugt, dass eine einseitige Emanzipation zu keinem Ende des Geschlechterkampfs führen würde (siehe taz: Im Gefängnis der Rezeption).
In jenem Moment, in dem man Unterschiede ausmacht, schreibt man ihnen auch eine Bedeutung zu. Die reelle Benachteiligung zu dokumentieren ist wichtig, aber an den Begrifflichkeiten festzuhalten, kann das ganze Unterfangen ins Gegenteil verkehren: Eine künstliche Trennung wird heraufbeschworen, der Graben zwischen den Geschlechtern mit Vorurteilen zementiert. Die Gesellschaft wandelt sich, Bildung ist beinahe für alle verfügbar, eher an die soziale Schicht als an das Geschlecht gebunden. Die frustrierte Hausfrau, die in Schundromanen nach etwas Abwechslung und Abenteuer sucht, ist vom Aussterben bedroht. Die Frauenbewegung hat viele Hürden überwunden, aber diese Kategorie nicht: Auch im Jahr 2017 findet man einschlägige Rubriken im Buchhandel. Die Befreiung steht aus, der fade Beigeschmack bleibt.
Frauenliteratur zu schreiben, bedeutet nach wie vor unter besonderen Schutz gestellt zu werden, „sie hat einen Uterus, sie kann es nicht besser“. Sind wir Frauen also schwächer, oder einfach nur schlechter?
Oder ist es am Ende der Konsument, der nach Orientierung ruft, der Hemingway fein säuberlich von Ulla Hahn getrennt im Regal stehen sehen will? Sind wir Frauen es selbst, die das Subgenre „Frauenliteratur“ fordern und fördern?
Googelt man zu dem Thema ein wenig, sticht das schöne Wort „Lebenswirklichkeit“ schmerzhaft ins Sehorgan. Offensichtlich gibt es in der Damenwelt ein großes Bedürfnis, die sehr eigene Lebenswirklichkeit in Romanen dargestellt zu wissen. Das impliziert natürlich, dass dies eine von der männlichen Lebenswirklichkeit grundverschiedene sein muss. Einschlägige Themen sind Kindererziehung, Eheprobleme, Affären und aussichtslose Jobpositionen. Das sind gewiss auch Motive des ersten Literaturmarktes, und ebenso könnte ich mir jetzt die Mühe machen, Romane von Männern aufzuzählen, die ebendiese Themen aufgreifen, aber das träfe den Punkt nicht: Anna Karenina schildert sicherlich einfühlsam die Rolle der Frau in der Gesellschaft, ist aber nur ein Beweis dafür, dass Frauen zu Tolstois Zeit keine Möglichkeit hatten, selbst einen Roman über ihre Situation zu schreiben. Und Houellebecq parodiert in beinahe jedem Satz die geschlechtsspezifischen Rollenklischees, aber eben immer aus Sicht eines Penis’. Nimmt man also den Faktor Lebenswirklichkeit mit in die Definition von Frauenliteratur auf, fallen Fontane und Co. durchs Raster. Mann kann über Frauen schreiben, aber Frauenliteratur scheint eine eigene Sprache zu besitzen, die dem weiblichen Geschlecht vorbehalten ist.
Glaubt man den Studien französischer Sprachwissenschaftlerinnen (wie Irigaray), fühlen Frauen anders, sprechen anders und schreiben demnach auch anders. Darauf näher einzugehen würde hier zu weit führen, und ich bin meistens anderer Ansicht, aber vielleicht kann man sich auf Folgendes einigen: Jedes Thema, jeder Text spricht eine eigene Sprache, die dem Inhalt angemessen ist. Es wäre also naheliegend, dass sich in einem Kontext gewisse Sprachkonventionen herausbilden, die von anderen Kontexten verschieden sind.
Erst in einer patriarchalischen Gesellschaft entstehen frauenspezifische Themen, erst durch die Unterdrückung wird der Wunsch nach einem geschützten Raum innerhalb der Gesellschaft laut. Es sind nicht die Männer, nicht die Konsumenten an sich, es sind wir Frauen selbst, die eine Trennung suchen und aufrechterhalten.
Und langsam verstehe ich, warum ich keine Frauenliteratur schreiben will. Weil es der Beweis ist, dass die Emanzipation noch in den Kinderschuhen steckt. Es liegt sicherlich nicht am Östrogen, ist nicht gottgegeben oder unüberwindbar, aber wir leben in einer anderen Welt. Ich kann einen Roman mit einer männlichen Hauptfigur schreiben, kann behaupten, dass die Lebenswirklichkeit eines sterbenden Mannes in mein Spektrum fällt, kann meinen Job gut machen und zu einem überzeugenden Ende kommen. Aber spätestens als mein Lektor sagte, dass man hinter meinem Roman keine junge Autorin vermuten würde, wusste ich: Für diesen Roman werde ich mich noch lange rechtfertigen müssen. Denn die Rolle der Frau ist auch heute noch unantastbar.
Fragment A-16-0036G aus dem verschollenen duotincta-Blog: #Repost
Sich für diesen Roman rechtfertigen? Nein. Sich erfreuen an wunderbarer Literatur ist angesagt.
Ohne wenn und aber.