Was wir im Schatten der Pandemie nicht sehen

Gedanken zur Neuveröffentlichung meiner Dystopie „Unter Markenmenschen“

von: Birgit Rabisch

 

Zurzeit richtet sich das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit auf das Corona-Virus, das unser Leben und unsere Gesundheit bedroht und unser alltägliches Leben in bisher ungekanntem Ausmaß verändert hat. Es beansprucht unsere Aufmerksamkeit fast ganz. Die Klima-Erwärmung, die zuvor im Zentrum unserer Sorgen und Befürchtungen stand, hat nichts von ihrer Bedrohlichkeit verloren, im Gegenteil. Doch akute Gefahren überdecken in unserem emotionalen Haushalt oft die langfristigen. Umso mehr gilt das für eine Entwicklung, die, obwohl sie die Substanz des Menschen bedroht, schon vorher nur sporadische Aufmerksamkeit erregt hat: der möglich gewordene Eingriff in die Keimbahn des Menschen.

Kurz flackerte die Diskussion auf, als am 26. November 2018 die Nachricht von der Geburt der „CRISPR-Zwillinge“ in China um die Welt ging. Plötzlich wurde vielen klar, dass die Gentechnologie inzwischen das Werkzeug in der Hand hat, das Genom des Menschen zu verändern: die Gen-Schere CRISPR/Cas. Sie wurde führend von den beiden Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entwickelt. Mit diesem Werkzeug könnte der genetisch veränderte Mensch Realität werden. Und wir müssen uns fragen: Wollen wir das?

Nachdem internationale WissenschaftlerInnen, darunter auch Prof. Doudna, ausdrücklich vor einem Eingriff in die Keimbahn des Menschen warnten und ein Moratorium forderten, möchte der deutsche Ethikrat bei uns in diesem Jahr eine breite gesellschaftliche Debatte zu der Thematik in Gang setzen. Ich fürchte, sie wird es wegen der Corona-Pandemie sehr schwer haben. Der Fokus der Aufmerksamkeit liegt verständlicherweise wohl noch lange auf der Virologie und nicht auf der Humangenetik.

In meinem um die Jahrtausendwende geschriebenen Roman „Unter Markenmenschen“ habe ich eine Welt entworfen, in der wir Wildwüchsigen von den Markenmenschen, die aus anerkannten Gen-Design-Laboren stammen, nur noch als bedauernswerte Auslaufmodelle verachtet werden. Das Buch erschien 2002 im S. Fischer Verlag. Damals schien diese Markenmenschen-Welt noch ein reines Hirngespinst zu sein. Jetzt, nachdem es die Gen-Schere CRISPR/Cas gibt, ist sie uns viel näher auf den Leib gerückt. Und das Genome-Editing ist auf dem Weg in unseren Leib hinein.

Ich freue mich sehr, dass „Unter Markenmenschen“ in dieser brisanten Situation im Verlag duotincta neu veröffentlicht wird. Ich habe den Roman überarbeitet und aktualisiert, mit einem Vorwort zu den Entwicklungen in der Gen-Technologie versehen – und mit einem Nachwort, das erklärt, warum in ihm auch die Erotik eine wichtige Rolle spielt (natürlich sind die Franzosen schuld!) und warum ich ihn nicht gern in der Schublade „Science-Fiction“ sehe und erst recht nicht, wie damals im Fischer Verlag, in der zum Glück mittlerweile klemmenden Schublade mit dem Etikett „Frauenliteratur“!

Die Neuveröffentlichung im Frühjahr 2020 steht nun allerdings im Schatten der Corona-Krise und so werden Lesungen und Diskussionen vorerst nur digital möglich sein. Aber ich hoffe trotzdem, dass „Unter Markenmenschen“ auch unter diesen widrigen Umständen ein wenig zur wichtigen Debatte um den gentechnisch veränderten Menschen beitragen kann.

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