Buchquartier Wien: duotincta ist die Avantgarde und führt den 12-Stunden-Arbeitstag in Österreich ein!

Autor: Jürgen Volk

BuchQuartier Wien 2017! Die Messe für Indie-Verlage im Museumsquartier der altehrwürdigen Stadt war der letzte große Paukenschlag in einem ereignisreichen Jahr, das wir mit unserer Weihnachtslesung zu den #4Lesezeiten im Klub der Republik am nächsten Dienstag stimmungsvoll ausklingen lassen werden.

 

Auf dem Weg gen Wien war bereits in den Zeitungen zu lesen, was gerade in der österreichischen Hauptstadt diskutiert wird: der 12-Stunden-Arbeitstag. Am Vorabend zum BuchQuartier wussten wir noch nicht, dass uns dieses Thema öfters begegnen würde, dass wir direkt davon betroffen sein würden. Aber eines nach dem anderen. Und am Anfang aller Messen steht natürlich der Aufbau. Der ließ sich allerdings in Wien am Tag des Messebeginns bewerkstelligen und dies auch noch bei menschlichen Öffnungszeiten: 11:00 Uhr bis 20:00 Uhr. Mittlerweile haben wir ja schon ein wenig Messeroutine und so war der Tag bald gefüllt mit netten Standnachbarn, Menschen, die sich für Bücher interessieren, Wiederbegegnungen, Neubegegnungen – von einer weiter unten ausführlicher – und einer Lesung unseres Wiener Autors Wolfgang Eicher aus seinem neuen Roman freiheitsstatue auf der Bühne des BuchQuartiers. Die Zuhörerschaft zeigte sich neugierig bei einem Roman, der in der eigenen Stadt spielt und der Moderator tat sich dieses Jahr schon wesentlich leichter, wenn es darum ging unseren Verlagsnamen auszusprechen. Je südlichen wir kommen, um so schwieriger scheint es wohl zu sein. Unser Favorit bleibt aber unangefochten Franken. Da heißen wir infolge fast schon schwäbischer Buchstabenökonomie „duodingda“ …

 

Wir mussten uns allerdings schon vor dem offiziellen Messeschluss verabschieden, denn am Samstag stand ein ganz besonderer Ortstermin auf dem Programm: Lesung im legendären Café Weidinger. Nach herzlich-warmem Empfang durch den Kaffeehausbesitzer persönlich trafen auch schon die ersten Besucher ein. Deshalb ging es nach Herrn Weidingers wunderbarem Grußwort flux los mit der Lesung. Ich selbst durfte in Doppelfunktion fungieren. Einmal Begrüßung als Verleger, dann als Einheizer für Wolfgang Eichers Auftritt. Und da Daniel Breuer leider kurzfristig nicht mit nach Wien reisen konnte, habe ich nicht nur aus meinem Roman Unbedingt gelesen, sondern im Überfluss der Euphorie auch die Herkulestat gewagt, aus Daniel Breuers Roman nathanroad.rec zu lesen, damit zumindest der Text, heideggerisch gesprochen, „an-wesen“ konnte. Kein einfacher Vorlesetext, wenn man nicht Breuer heißt, aber so schlecht kann es dann doch nicht gewesen sein, denn auch ohne des Autors Vortrag wurde das Buch im Anschluss an die Lesung gekauft. Wolfgang Eicher las zunächst aus freiheitsstatue, genauer gesagt, las er von Sophies Beerdigung. Da er aber die Lesung nicht so enden lassen wollte, gab es fürs Gemüt noch etwas aus Die Insel. Während seine Groupies die Eichersche Ringparabel erwarteten, überraschte er allerdings mit seinem Dubrovnik-Kapitel.
Vom Signieren ging es ins Gespräch und irgendwann fanden wir uns vor Gulaschsuppe und Frankfurter am Tisch sitzend wieder. Hier kam es nun zur oben bereits angekündigten Bekanntschaft und diese Begebenheit verdient ohne Frage eine Erwähnung in diesem Rückblick: Die Komponistin Misha Jordi saß als noch letzter verbliebener Gast mit in der duotincta-Runde. Sie hat in der Vergangenheit schon öfters mit Wolfgang bei Filmprojekten, auch zum Thema Zeit, zusammengearbeitet und so gab eines das andere, wobei „das andere“ bedeutet, dass sie sich für Birgit Rabischs neuen Roman „Putzfrau bei den Beatles“ so sehr begeisterte, dass sie die Musik zum Trailer komponieren wollte, worüber wir uns natürlich sehr freuten! Als wir nach Drehbuchplänen, Konzepte- und Zeitplanmachen aufblickten, war es schon nach Mitternacht und wir stellten fest, dass wir schon vor Einführung des 12-Stunden-Arbeitstags in Österreich einen 14-Stunden-Tag abgeleistet hatten …
Müde fuhren wir also nach einem von Arbeit gesegneten Tag also unseren Betten entgegen, hatten dabei unsere Rechnung aber ohne Misha gemacht. Denn am nächsten Tag stand sie kurz nach Messeeröffnung am Stand und sagte sie müsse mit uns reden. Was sollen wir sagen? Anstelle des erwarteten „Du, das wird doch alles zu knapp, ich hab noch genug andere Sachen …“ bekamen wir einen ultragroovigen Sound zu hören, der auch im Augenblick dieser Niederschrift auf Endlosschleife rotiert. Misha hatte die Nacht über „ein wenig komponiert“, Bass, Hammond-Orgel-Melodie und Schlagzeug eingespielt und „weil es gerade lief“ gleich schon mal ein wenig abgemischt und sagte lakonisch: „Es fehlt nur noch der Feinschliff.“ Die Sorgen wegen des Zeitplans waren verflogen und wir groovten durch den restlichen Messetag …

 

Und die Moral von der G’schicht? Wir als die Speerspitze der neoliberalen Subkultur können uns der österreichischen Regierung nur anschließen: Mit der Arbeitszeit verhält es sich wie mit Schillers Ansatz in der Medizin: „Viel hilft viel!“ Es macht durchaus Sinn in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit diejenigen, die bereits in Arbeit und Brot stehen, dazu zu zwingen, noch mehr Überstunden zu machen – gerade, weil ja dann, bei zehn Stunden regulär, erst ab der elften Stunde die Überstundenzuschläge bezahlt werden müssten, was der Wirtschaft 1,5 Mrd. Euro an Kostenersparnis pro Jahr bringen wird. Übrigens 1,5 Mrd. Euro, die den Arbeitern dann fehlen werden … Aber Ironie beiseite: In anderen Zeiten hätte man dies nicht als Reform bezeichnet, die den Standort stärkt, sondern schlichtweg als Lohnraub. Der Achtstundentag (inklusive aller Ausnahmeregelungen) wurde im Laufe der Geschichte hart erkämpft. Unschuldige mussten sogar ihr Leben im Kampf um die Rechte lassen, die wir heute so leichtfertig aus der Hand geben.
An diesem Wochenende hatten wir auch Zeit zu Gesprächen und Diskussionen und kamen zu dem Schluss, dass die duotincta für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist. Denn eines ist klar: Wer mehr arbeitet, hat weniger Zeit zum Lesen!
Aber ernsthaft, der Mensch ist – zumindest, wenn wir nochmals Schiller folgen – bestimmt nicht dort Mensch, wo er in Erwerbsarbeit steht, denn für die allermeisten ist Arbeit eben nicht gleich Spiel. Nach einem Arbeitstag sollte genug Zeit für Ruhe, Muße, den/die Partner/in, die Kinder, die Familie, die Freunde und all das da sein, weshalb wir eigentlich zur Erwerbsarbeit gehen. Außerdem hätten dann auch mehr Menschen Zeit, um sich ernsthaft in Politik und Gesellschaft einzubringen. Aber wer weiß, ob sich das 1 Prozent und unsere Regierungen so etwas wünschen …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert