Sommerlesung: Warum Literatur auf die Straße gehört

Autorin Stefanie Schleemilch mit einem Rückblick auf das Lesezelt am Straßenfest der Mittenwalder Straße.

 

Gerade noch saß ich mehrere Stunden im Schneesturm in Bitterfeld fest, da begann auch schon der längste Sommer meines Leben. Anfang April kletterten die Temperaturen erstmals über 25 Grad und die Tage erschienen plötzlich unendlich lang.

Keine Termine und leicht einen sitzen, so hat Harald Juhnke einst das Glück beschrieben. Der zweite Roman vollendet, der Job schien sich in der Gluthitze des zweiten Jahrhundertsommers von selbst zu erledigen, lediglich mein Online-Dating-Exeriment (mehr dazu in Kürze) raubte mir kostbare Zeit zum Faulenzen. Der Sommer meines Lebens war ein niemals enden wollendes Rendezvous mit mir und dem Berliner Sternenhimmel, mit Bier und dem herumstreunenden Fuchs im Mauerpark, den ich mittlerweile auf den Namen Foxy getauft habe. Statt Schwarz trug ich seichte Blumenmuster und leichte Stoffe, entblößte meine ungebräunten Beine in der Ringbahn, verlegte mehrere Sonnenbrillen und genoss die erträglich gewordene Sinnlosigkeit meines Daseins selbst in den vollsten Zügen.

Und dann kam der Anruf meines werten Herrn Verlegers. Ob ich nicht Lust habe, mal wieder vor Publikum zu lesen. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. Während sich grüne Wiesen in Steppen verwandelt hatten und sich eine dicke Schicht aus Blütenpollen auf Fensterscheiben gelegt hatte, war meinem Gedächtnis wohl abhanden gekommen, dass ich Schriftsteller bin.
Lesen, ja warum eigentlich nicht?
Wo denn, war meine Gegenfrage.
Straßenfest, Kreuzberg.
Das klang nach frischer Luft und freiem Himmel, das schien mit meiner sommerlichen Leichtigkeit vereinbar.
„Organisiert wird das ganze von Viktoria und Robert, die sind von Carpathia Verlag und VHV. Sie haben ein bisschen Angst, dass Letzte Runde zu düster ist, aber das wird schon. Details müssen wir noch klären.“
Welche Details, fragte ich mich und vergaß die Frage auch dem Herrn Verleger zu stellen. Ich tanzte auf der Hochzeit einer Freundin, verbrachte eine Woche am Bodensee und meine Nichte wurde geboren. Die Hitze blieb, der Regen aus. Meine Friseurin verpasste mir einen neuen Haarschnitt und ich ging zur Massage, besorgte mit inspiriert von meinem Online-Dating-Experiment einen Reisepass und traf Foxy am Falkplatz wieder.
„Hast du die Mail gelesen?“
Verleger, selbst die besten der Welt, können einem schon mal auf die Nerven gehen. Wir trafen uns am Späti und tranken in der Sonne eiskaltes Radler. Plötzlich machte auch das Sinn. Die Farben hatte sich verändert, der Geruch der Stadt war anders und das kalte Radler schmeckte nach lauen Sommerabenden.
„Die beiden sind wirklich nett, das wird bestimmt gut. Nur nicht zu ernst soll es sein, die Leute sollen Spaß haben.“
Letzte Runde, ein letztes Mal aus meinem ersten Roman lesen, in Kreuzberg auf der Straße. So wie alles diesen Sommer gehörte auch das auf die Straße, unter den offenen Himmel, der mal eine Mondfinsternis zeigte, mal den Mars.
„Es wird wahrscheinlich ein Zelt geben.“
„Wozu das Zelt?“
„Nur für den Fall.“
Meine Turnschuhe hatte der Mauerpark mit Staub bedeckt, längst hatte ich vergessen, wie sich Regen auf nackter Haut anfühlt.

Die Organisation der Lesung gefiel mir. Kurze Mails mit den wichtigsten Informationen, alles weitere sollte auf dem Mittenwalder Straßenfest geklärt werden.

 

 

 

Also ließ ich mich einfach in den letzten Augustwochen treiben, ließ meinen Verstand eine Auszeit nehmen vom Ernst des Lebens und vergaß Rechnungen zu bezahlen, bis mein Gasanbieter persönlich anrief. Sie hatten es wohl ernst gemeint, das mit der 3. Mahnung. Aber es gibt diese Sommer, da tut nichts mehr weh, weil alles in buntes Licht getaucht zu sein scheint, weil alles so leicht von der Hand geht, sogar das Abschiednehmen vom ersten Roman.

So gut wie meine Stimmung war dann auch die Begrüßung auf dem Mittenwalder Straßenfest, das indische Curry und das Craftbeer vom Stand gegenüber.
Das schwarze Lesezelt musste niemanden vor Regen schützen, sorgte aber für eine angenehme Atmosphäre. Die Technik kam gegen die Musik an, die mal sanft mal lautstark von der Bühne herüber waberte. Menschen blieben stehen, lauschten den Autoren und sahen sich am Bücherstand die Literatur genauer an.

 

 

 

Was Viktoria und Robert da aus dem Stand auf die Beine gestellt hatten, passte perfekt in die Straßen Kreuzbergs. Ein wenig chaotisch ging es hier und da zu, ein bisschen musste improvisiert werden, aber genau das macht schließlich den Charme unserer Stadt aus. Literatur mitten auf der Straße, umsonst und draußen, eine Idee, die beide hoffentlich weiterverfolgen werden.

Und dann las auch ich, ein letztes Mal aus Letzte Runde. Bei jedem Wort spürte ich, dass das schwere Grau der Sprache nicht mehr zu mir passte. Der Sommer hatte mich verändert, sogar etwas Farbe auf meine Haut gezeichnet. Mit dem Schlussapplaus war Letzte Runde ausgelesen und ich sagte mühelos Adieu zu meinem Erstling. Denn ich weiß, da kommt noch so viel mehr.

 

 

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